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Sonntag, Dezember 17, 2006

Rudi

InDeeVee: Dezember 2006

Deutsche Zeichner können nur zwei Arten von Comics produzieren: Schlechte oder Funnies.
Jedenfalls war das immer mein Eindruck, wenn ich früher so reflektierend durch die Comics aus deutschen Landen geblättert habe. Auf der einen Seite hatte man so Möchtegern-Superhelden-Rotz wie Power Freaks, Cool Patrol oder 12 Stunden in Admissum (um nur einige zu nennen). Comics, die irgendwo von der Kopie der Kopie einer Kopie abkopiert waren und an denen Leute gearbeitet haben, deren Können zwar weit über dem meinigen war (ich kann nicht wirklich mehr als Strichmännchen hinschludern), aber im Gesamtbild sah es einfach nur mies, unfertig, im besten Fall fanzinemässig aus. Das Fehlen jeglicher Originalität, einer Handlung oder einer Kolorierung, die einen nicht wünschen lässt, Augenkrebs zu bekommen, tut ihr übriges.

Ja und auf der anderen Seite gibt es dann die Funnies. Da sind die Deutschen dann ganz groß drin. Wenn man mal von Totalausfällen wie Rammbock absieht, finden sich da das Kleine Arschloch, Nichtlustig, Werner (okay, über den kann man vortrefflich streiten) und natürlich die Comics von Ralf König, Jamiri, Kim Schmidt, Ralph Ruthe und einigen anderen.

Aber so was ganz anderes? Mal ein Abenteuercomic? Fantasy? Ein Slice-of-Life-Comic? Eher nicht. Schade. Warum eigentlich nicht? Vermutlich, weil ich damals als reiner Superhelden-, Manga- (und gelegentlicher Franko-Belgier-)Fan mich nicht genug umgeguckt habe (hey, aber das optisch sehr ansprechende Die Chronik der Unsterblichen habe ich gefunden! Ganz allein). Deshalb ging auch Peter Pucks Comic Rudi vollkommen an mir vorbei. Ja, das war ignorant und ja, ich schäme mich ganz doll! Denn Rudi ist eines – anders.

Ja, ja, technisch gehört Rudi schon zu den Funnies, aber kann man darüber wirklich lachen? Kann man über André Franquins Schwarze Gedanken lachen?

Denn genau diese Art Humor verwendet der Herr Puck in seiner Serie. – den, bei dem einem das Lachen oftmals im Halse stecken bleibt.

Egal, ob es um Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Sex, Ausländerfeindlichkeit, Gastarbeiter, Hooligans oder andere prekäre Themen geht – Peter Puck nimmt hier kein Blatt vor den Mund. Rudi ist so dermaßen frei von political correctness, daß ein Amerikaner vermutlich einen Herzkasper kriegen würde, sollte er jemals in der Lage sein, einen Blick in ein Album zu werfen (es gibt leider keine englische Ausgabe, was die Möglichkeit natürlich minimiert).
In den Geschichten geht es um den namensgebenden Rudi, meist arbeitslos, „leicht“ misanthropisch veranlagt und mit einem gewissen Hang zum Asozialsein. Rudi ist böse und gemein, schlagfertig, draufgängerisch, aber manchmal auch so gnadenlos dumm. Aber irgendwie hat man ihn gleich gern, lebt er doch teilweise das aus, was man sich im Zuge des Spießertums selbst nicht traut oder einfach Schiss vor den Konsequenzen (diese Spaßbremsen namens Ordnungshüter zum Beispiel) hat. Begleitet wird Rudi meistens von seinem Kumpel Fred, der vom gleichen Schlag ist und gemeinsam macht es gleich doppelt so viel Spaß, nicht?

Schlägt man aber so ein Album erst mal gemütlich auf, werden direkt Erinnerungen an Krieg und Frieden wach, denn… der Comic hat ja Text! Viel Text. Ja, wenn nicht sogar ganz viel Text. Tatsächlich sind die zahlreichen Sprechbasen bis an ihre Belastbarkeit gefüllt und man saugt dennoch förmlich jedes Wort in sich auf. Keine Langweile, keine Quälerei – jeder Spruch (das Wort „Gag“ wäre hier etwas ordinär) trifft zielsicher ins Schwarze. Für sein Geld bekommt man hier einen Gegenwert, der einfach seinesgleichen sucht.

Auch zeichnerisch spielt der Comic in der ersten Liga mit. Der Strich ist sauer, detailverliebt und aussagekräftig. Die Stimmung der Protagonisten wird perfekt eingefangen.

Was Peter Puck auch gut kann, ist das kopieren (neudeutsch: swipen) anderer Stile, wenn es um eine Parodie kann. Egal, ob Franquin (Gaston), Uderzo (Asterix) oder Carl Barks (Donald Duck) – das haut rein. Und wie. Aber Rudi ist absolut kein Plagiatswust (egal ob gewollt – siehe Imitate von Roger Brunel – oder mangels eigenen Stils), sondern steht auf eigenen Füssen.

Und warum schäme ich mich jetzt, Rudi erst so spät entdeckt zu haben? Nun ja, so neu ist die Comicreihe nun wahrlich nicht.

Den Einstand gab es 1985 im Stuttgarter Stadtmagazin live (heute lift) und bereits zwei Jahre später brachten die Heinzelmännchen (der Verlag hieß so!) den ersten Sammelband als „Alle lieben Rudi“ heraus, dem bis 2001 noch fünf weitere Alben folgen sollten.
Demnach hatte ich also genug Zeit, die Reihe mal bei dem einen oder anderen Rundgang zu entdecken, sammle ich doch schon seit 1992. *hüstel*

Aber es sollte bis 2005 dauern, als sich der Ehapa Verlag an eine Fortsetzung und Neuauflage (mit Übertragung in Farbe… und bunt!) machte. Aber besser spät als nie. Und damit es euch nicht so geht, wie mir und ihr diese Perle recht zeitnah und bald entdeckt, habe ich mich ja hier hingesetzt und diesen Text verbrochen. Also: Geht raus, kauft Rudi und erlebt mit eigenen Augen, WIE böse und gut ein Comic sein kann.

Und für all die deutschen Autoren und Zeichner, die sich ernsthaft den Arsch aufreißen, um anständige Comics zu produzieren und mich am liebsten wegen meinem ersten Absatz filetieren würden: Ja, ich weiß, daß es euch gibt (ich bin nur blind und/oder ignorant – shame on me. Aber ich gelobe Besserung. Dafür sorgt schon Tante Ellen) und ja, euch gehört mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Denn es gibt es auch aus dem Land der Dichter und Denker graphische Literatur vom Feinsten – [unbezahlte werbung]einfach mal das Verlagsprogramm von Edition 52, Zwerchfell oder Reprodukt ansteuern[/unbezahlte werbung].

Björn Steckmeier a.k.a. Der Grammaton Kleriker

Rudi:
Heinzelmännchen

1987-2001
(1) Alle lieben Rudi
(2) Rudi gibt nicht auf
(3) Mein Freund Rudi
(4) Keiner ist wie Rudi
(5) Freunde fürs Leben
(6) Ein Fest für Rudi

Ehapa
2005-heute
Je €10,00
(5) Freunde fürs Leben (ISBN: 978-3-7704-2979-0)
(6) Ein Fest für Rudi (ISBN: 978-3-7704-2983-7)
(7) Immer Ärger mit Rudi (ISBN: 978-3-7704-2905-9)