Wir sind Philos, Lamond und Seppstock. Hier findet ihr farbenfrohe Bilder, kleine Sprechblasen und unsere Meinung dazu.

Sonntag, April 09, 2006

Mail Order Bride

InDeeVee: April 2006

Written and penciled by Mark Kalesniko (Fantagraphics).

Monty Wheeler ist 39 Jahre alt, unverheiratet und noch Jungfrau. Da sich an diesem Status mit ziemlicher Sicherheit so schnell nichts ändern wird, bestellt er sich eine asiatische Frau aus dem Katalog – die junge Kyung Seo.
Monty ist begeistert von seiner Frau, die er über alles liebt. Kyung selbst ist jedoch etwas geschockt und überrumpelt, denn Monty ist ein Geek, wie er im Buche steht – Comicshopbesitzer und leidenschaftlicher Sammler von Spielzeug und ähnlichen Devotionalien, die er mit Argusaugen bewacht.
Zuerst scheint auch alles perfekt zu sein, denn Monty ist trotz seiner Macken ein liebender Ehemann und versucht, Kyung ein guter Ehemann zu sein. Seine Freunde und Verwandte akzeptieren seine Frau. Obwohl Monty in einer Kleinstadt wohnt, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen, wird er nicht geächtet, weil er sich eine Frau kaufen musste.

Doch schon bald fangen die Probleme an, denn Monty hat einen Fetisch und möchte Kyung auch gerne möglichst asiatisch haben. Dies will seine Frau jedoch nicht, die offenbar ein Geheimnis mit sich rumträgt und nicht über ihre Vergangenheit sprechen will.
Zudem ist ihr Ehemann eher der häusliche Typ und verbringt seinen Feierabend lieber mit Fernsehen oder Schlafen auf der Couch. Zudem ist er ein Feigling, der nicht mal den Nachbarn dazu bringen kann, seinen Motor nicht so laut hochzudrehen.
Kyung hingegen würde lieber einmal ausgehen und etwas unternehmen, als ihrem Göttergatten beim Dösen zuzusehen.

Die beiden reden immer weniger miteinander und es sind kleine Sachen, die zeigen, daß die Beziehung einen Knacks hat.
Da kommt die Künstlerin Eve, ebenfalls Asiatin, in ihr Leben und alles verändert sich. Auf Bitten von Eve wird Kyung Model… NACKTmodell. Sehr zum Unmut ihres Ehemanns, dem es gar nicht recht ist, daß jeder seine Frau sehen kann, wie Gott sie schuf.
Doch Kyung wird immer selbstbewusster, bleibt über Nacht weg und lässt sich von Monty kaum noch etwas sagen. Sie geht sogar in eine Art Gegenangriff über und ist immer unzufriedener. Nur bei ihren Freunden aus der Künstlerszene blüht sie auf.
So sind Reibereien natürlich vorprogrammiert und Monty, der Feigling, schluckt alles, während Kyung immer grausamer und frecher wird.
Die beiden leben nicht mehr MITeinander, sondern aneinanderVORBEI. Jeder hat sein eigenes Leben – Monty seinen Shop und Kyung ihre Kunst.
Es ist aber nicht so, als würde Monty einfach zusehen, wie seine Ehe zerbricht. Dennoch entfremdet sich Kyung unausweichlich immer mehr von ihm. Als der Mann als letztes Mittel wieder masturbiert, wird er prompt von Kyung erwischt, die daraufhin sein Leben buchstäblich zur Hölle macht…

„Mail Order Bride“ ist ein 261 Seiten starkes Telefonbuch aus der Feder von Mark Kalesniko und sowohl eine wunderbare Sozialstudie als auch ein klassisches Beziehungsdrama, das 2001 bei Fantagraphics Books erschien.
Natürlich findet sich das Paar nicht auf herkömmlichem Wege, sondern es ist eine einseitige Sache, bei der zwei Kulturen aufeinanderprallen. Dies stellt jedoch nicht mal das eigentliche Problem dar, da Kyung sehr gut Englisch spricht und auch sehr groß ist. Es sind die unterschiedlichen Wesen der beiden Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und somit Konflikte vorprogrammiert sind.

Kalesniko erzählt sehr eindringlich und mitfühlend, vermeidet es aber, ein Gut-Böse-Schema aufzustellen, denn es gibt keinen richtigen Antagonisten. Jede Figur hat ihre eigene Seele und handelt entsprechend dieser, da sie aus ihrer Haut nicht herauskommt. Wirklich bösartig ist keiner – nur grundverschieden.
So findet sich der Leser auch in einem Wechselbad der Gefühle, je nachdem, wer gerade die dominante, uneinsichtige Rolle innehält – etwas, das sich schon nach wenigen Seiten wieder ändern kann.
Der Autor versucht mit Erfolg, jeder Figur soviel Tiefgang wie möglich zu geben und wartet auch mit einigen Überraschungen auf, die den geneigten Leser faszinieren.
Trotzdem kommt auch der Humor nicht zu kurz, auch wenn dieser leise funktioniert und eher über die Zeichnungen vermittelt wird.

Kalesniko zeichnet einfach – Erinnerungen an Scott Morse werden wach – jedoch klar, deutlich und atmosphärisch. Hier ist kein Strich zu viel und die Figuren sind dennoch liebevoll und detailliert zu Papier gebracht worden. Es gelingt ihm, mit nur wenigen Strichen, die Figuren lebendig wirken zu lassen.

Ansonsten ist der Band aber eher was für die älteren Semester, denn auch wenn es keine deftigen Sexszenen gibt, schreckt Kalesniko nicht vor expliziten und deutlichen, herrlich erotischen Nacktszenen zurück. Dennoch ist der Band keine plumpe Wichsvorlage, sondern eine wunderschöne Erzählung, die ins Regal eines jeden Lesers gehört, der sich für solch kleine Geschichten aus dem Alltag interessiert.
Eine Schande, daß dieser Band noch nicht auf Deutsch vorliegt.

Björn Steckmeier a.k.a. Der Grammaton Kleriker